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Die Welt, 1 September 1995

Ein Aufruf zur Abruestung

Dalai Lama eroeffnete Friedensuniversitaet - 464 Veranstaltungen waehrend vier Wochen

Sanft laechelnd, die Haende wie zum Gebet gefaltet, betritt Seine Heiligkeit den zum bersten gefuellten Saal im Palais am Festungsgraben. Der kleinwuechsige Mann mit der grossformatigen Brille ist in eine Dra Tschae gewandet, ein dunkelrotgelbes Moenchskleid, das bis zu in Sandalen gepressten Fuessen reicht. Ein dunkler Haarflaum umkraenzt seinen kahlgeschorenen Kopf, schwarz setzen sich vier Punkte, Narben von Pockenimpfungen, an seiner Schulter ab. Langsam gleitet das weltliche und religioese Oberhaut der Tibeter Richtung Podium, durch eine schmale Gasse, die ihm Schaulustige noch gelassen haben. Glaeubige recken ihm ehrfurchtsvoll ihre Katta entgegen, eine Gluecksschleife aus weisser Seide, die in Tibet dem Gast zur Begruessung gereicht wird. Jede beruehrt der Dalai Lama, kuesst sie und begruesst laechelnd die verzueckt dreinblickenden Glaeubigen ohne ein Wort mit ihnen zu sprechen. Am Podium angelangt, kommt er, ganz Superstar, den Wuenschen der zu einem Pulk verschmolzenen Fotografen nach. Ein Laecheln hier, ein Laecheln da. Mit verstohlenem Blick, doch keineswegs eifersuechtig mustern die uebrigen Podiumsteilnehmer das mediale Treiben um Seine Heiligkeit, dann endlich eroeffnet der Dalai Lama, zuerst auf tibetisch, spaeter auf englisch die Friedensuniversitaet (Motto: "Visionen fuer das 21. Jahrhundert"), die ab heute lang 464 Workshops, Seminare, Foren und Konzerte zu wissenschaftlichen, politischen und spirituellen Fragen des Friedens veranstaltet.
"Frieden", sagt Seine Heiligkeit, "ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg". Vielmehr muesse "aeussere Abruestung" mit einer "inneren Abruestung" einhergehen, um Hass und Feindseligkeit zu ueberwinden. Religion und Erziehung seien dafuer wichtige Beitraege. Und der Dalai Lama fordert mit spitzer Zunge zu mehr Verstaendnis und Toleranz gegenueber Angehoerigen anderer Nationalitaeten und Glaubensrichtungn auf. "Die Entwicklung von Mitgefuehl ist die unabdingbare Voraussetzung fuer weltweiten Frieden".
Danach rufen Robert McNamara, US-Verteidigungsminister unter Kennedy und Johnson, die nordirische Friedensaktivistin Betty Williams und Costa Ricas Ex-Praesident Oscar Arias Sanchez wortgewaltig zur weltweiten Abruestung und zum Verzicht auf Atomwaffen auf. "Anderfalls", warnt McNamara, "koennte die Konbination von Nuklearwaffen und menschlichen Fehlern die Welt zerstoeren." Im "interkulturellen Dialog", hofft initiator Uwe Morawetz, soll nun die Friedensfaehigkeit unterschiedlichster Berufsgruppen erprobt werden.