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Rheinischer Merkur, 22 Oktober 1993

Bahr und Falin stehen Pate

Zeitgeist-Talkshow oder Initiative mit Zukunft? Das Projekt einer privaten Friedensuniversitaet in Potsdam

Kennen Sie den? Sitzen ein Amerikaner, ein Russe und ein Deutsche im Auditorium des Berliner Hauses der Kulturen der Welt und plaudern ueber die gute alte Zeit, als sie das Berlin-Abkommen ausgehandelt haben. Sagt der Amerikaner: “Egon ist mein Freund, Valentin ist mein Freund. Ich bin Henry, euer Freund – no problem.” Sagt der Deutsche: “Henry ist nicht blöd Valentin ist nicht blöd und ich bin überhaupt nicht blöd.” Schüttelt der Russe bedenklich den Kopf, zerrt an den Fingern, bis die Gelenke knacken und findet alles sehr interessant, aber schwierig, sehr schwierig.
Botschafter, Pressevertreter, Berliner Prominente und viele normale Menschen schauen sich das an - und keiner lacht. Denn das ist kein Witz, sondern ein "Friedensgespräch" mit dem Title "Wandel durch Annäherung", organisiert von der "Fördergemeinschaft" zur Gründung einer "Friedensuniversität" (FGF). Die drei Gesprächsteilnehmer heissen Valentin Falin, Henry Kissinger und Egon bahr. Sie waren federführend beteiligt an dem Zustandekommen des Berlin-Abkommens der vier Mächte von 1971, ein Markstein für die Beendigung des Ost-West-Konflikts. Im Sommer trafen sie im haus der Kulturen der Welt erstmals wieder zusammen.
"Das bringt uns endlich den Durchbruch", meinte einer der FGF Vorsitzenden. Er beschrieb damit das Dilemma der Initiative, die in Deutschlands staatlich verwalteter Bildungslandschaft mir ihren Projekt einer Privatuniversität neben viel positiver Resonanz auch Skepsis auslöst.
Es begann in Potsdam. Im Sommer 1991 veranstaltete das "Netzwerk der Kulturen" zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation und der Berliner Ärztekammer das Festival "Kraft der Visionen". Der erfolgreiche Verlauf gebar die Idee, Potsdam ein Forum zu schaffen, das Menschen aus allen Bereichen von Religion, Kultur und Wissenschaft zusammenführt. Der gemeinnützige Verein der FGF wurde gegründet und trat im Oktober 1992 an die Öffentlichkeit und veranstaltete seither eine Reihe prominent besetzter und vielbeachteter "Friedensgespräche". Im aneckten Jahr soll die erste Potsdamer Sommeruniversität zum Thema Frieden stattfinden, und 1995 - fünfzig Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges - soll der Plan einer privaten Friedensuniversität konkrete Gestalt annehmen. Das Konzeptpapier verspricht für diesen Fall nicht weniger als eine interdisziplinäre, interkulturelle und interreligiöse Ausrichtung; ein erweitertes und ganzheitliches Verständnis der klassischen akademischen Disziplinen; die Suche nach nein Lösungen und praktikablen Ansätzen zur Bewältigung der enormen Zukunftsaufgaben; eine Friedensforschung, die den sozialen Frieden, den Frieden in der Gemeinschaft und den persönlichen inneren Frieden umfasst.
Trotz und wegen glanzvoller Prospekte, Veranstaltungen, Freunde und Förderer reagierte die Presse anfangs abweisend; die Universität Potsdam vermutete in dem Projekt eine Konkurrenz; der Sektenbeauftragte Brandenburgs Äußerte wegen des interreligiösen Ansatzes und der spirituellen Lehrer im Beirat der Fördergemeinschaft Sektenverdacht. Uwe Morawetz, Vorsitzender der FGF, betont, dass es sich dabei um ein Missverständnis handelt: "Es ist unser Wunsch, langfristig und ganz praxisbezogen auch Vertreter der verschiedenen Kulturen und Religionen in Dialog zu bringen, um dieses für viele Menschen Fremde im Aussen, in anderen Kulturen, das ja letztlich nur ein Spiegelbild für das Fremde in jedem einzelnen Menschen ist, miteinzubringen. Es geht uns bei der Friedensuniversität nicht darum, eine bestimmte Religion oder weltanschauliche oder politische Richtung und in den Vordergrund zu stellen oder irgend jemanden zu einem bestimmten Glauben zu bekehren, sondern ein Forum zu schaffen für möglichst viele verschiedene Denkansätze und praktische Initiativen."
Auf den ersten Blick bietet die Initiative ein ausgesprochen ambivalentes Profil. Man könnte ihre geballte Ladung klangvoller Namen und zeitgeistiger Anliegen abtun als Auswich der grassierenden Talk-Show_sucht. Man könnte fragen, wozu wir noch mehr Friedensforschung brauchen, als wir schon haben. Man könnte sich prinzipiell aussprechen gegen eine privat finanzierte Universität, gegen die professionelle und übergewichtige Öffentlichkeitsarbeit der FGF, Gegend en globalen Anspruch auf den Prozesscharakter der Konzeption.
Man würde damit jedoch der Initiative nicht gerecht. Man würde ihre Faszination ignorieren und der Frage aus dem Weg gehen, warum dieses Projekt sich so erfolgreich entwickelt - und warum der Ansatz der FGF so gut funktioniert. Denn auch Prominente sind nicht nur eitel oder blöd. Und die Tatsache, dass Dutzende hochrangiger Persönlichkeiten des internationalen Zeitgeistes der Fördergemeinschaft beigetreten sind und honorarfrei an ihren Veranstaltungen mitwirken, macht deutlich, dass hier ein öffentlicher Nerv getroffen wurde: die Unzufriedenheit über den allgemeinen Umgang mit allgemeinen Konflikten und gegen die sture Tendenz, die eigene Verantwortung an der allgemeinen Krise dadurch zu verdrängen.
Die Friedensuniversität markiert auch die Misere im Bildungswesen, die Praxisferne von Lehren und Lernen die Entfremdung zwischen Lehrer und Lernenden. In Bezug auf das Massenproblem der staatlichen Hochschulen empfahl der Soziologe Niklas Luhmann vor einiger Zeit, nach der Chaostheorie vorzugehen: Man solle nicht regulierend eingreifen, sondern möglichst viele Studierwillige hineinlassen, das Chaos so auf die Spitze treiben und darum sich eine höhere Ordnung entwickeln lassen. Aber man darf nicht vergessen, dass nach der Chaostheorie nicht alte Ordnungen verbessert werden, sondern neue entstehen. Nicht Reformation, sondern Transformation steht an im Bildungswesen.
Einen ersten Schritt in diese Richtung will die Friedensuniversität tun. "Flächenübergreifende Lehre und Forschung, der Dialog von Geist- und Naturwissenschaften, Theorie und Praxis, Wissen und Weisheit": Alles was unserem spezialisierten Hochschulbetrieb so sehr fehlt, soll in Potsdam verwirklicht werden. Mit ihrem öffentlichkeitswirksamen Konzept entspricht die Initiative ganz dem Geist der neunziger Jahre. Und folgerichtig kommen ihre zentralen Betreiber nicht aus dem etablierten wissenschaftlichen Bereich, sondern aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Management.
Nach dem Motto "Alle mit Rang und Namen und alles, was und gut und teuer ist" steuert die FGF wie einen Wahlkampf für Anspruchsvolle und gerät dabei schnell in Verdacht, nach dem eventuellen Erfolg die Versprechen nicht einlösen zu können. Gegen diese Kritik liesse sich einwenden, dass ein solches Projekt anders kein durchzusetzen ist. Ausserdem spricht der grossformatige Ansatz dem Stand der Probleme, Moderne Friedensforschung muss sich über alle Grenzen hinwegsetzen, um der Komplexität und Globalität der Konflikte gerecht zu werden.
Daher treffen der Talk-Show-Verdacht, der Eliteverdacht und der Sektenverdacht nicht die Wunden Punkte der FGF, sondern die wichtigen. Um die latente Gewaltbereitschaft in den gesellschaftlichen Gruppen und in jedem Einzelnen in produktive Auseinandersetzungen umzulenken, brauchen wir Dialoge auf allen Ebenen und über alle Ressentiments hinweg. Um wegweisende Lebenskonzepte und lebendige Werte zu entwickeln und umzusetzen, brauchen wir Lehrer und Forscher mit aussergewöhnlichen Fähigkeiten - sowohl in innovativer wie in integrativer Hinsicht.
Und schliesslich setzt ein dauerhafter sozialer Frieden den inneren Frieden in jedem Menschen voraus. Der Wegweiser dorthin heisst Selbsterkenntnis. Für diesen wichtigen Prozess, selbstbewusst und selbstverantwortlich zu werden, für diesen mühsamen und gar nicht öffentlichkeitswirksamen Weg nach innen brauchen wir Lehrer, wie sie kaum an etablierten Institutionen zu finden sind. Die Integration der spirituellen Dimension des Menschen in seine Bildung gehört daher zu den Aufgaben einer Friedensuniversität.