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Tanz - Affiche, Juli 1999

Lebensschule als kreativer Dialog der Widersprueche

Gedanken von Uwe Morawetz, Initiator und Vorsitzender der Foerdergemeinschaft zur Gruendung einer Friedensuniversitaet anlaesslich der Wiener Friedensgesparaeche

"Wahrscheinlich darf man ganz allgemein sagen, dass sich in der Geschichte des menschlichen Denkens oft die fruchtbarsten Entwicklungen dort ergeben, wo zwei verschiedene Arten des Denkes sich getroffen haben. Diese verschiedenen Artendes Denkens moegen ihre Wurzeln in verschieden Gebieten der menschlichen Kultur haben oder in verschiednen Zeiten, in verschiedenen kulturellen Umgebungen, oder in verschiedenen religioesen Traditionen. Wenn sie sich nur wirklich treffe, das heisst wenn sie wenigstens so weit zueinander in Beziehung treten, dass eine echte Wechselwirkung stattfindet, dann kann man hoffen, dass neue und interessante Entwicklungen folgen."
Werner Heisenberg

Vor etwa 900 Jahren hatten Studenten in Paris und Bologna den Mut, Geld zu sammeln um danach Professoren auzusuchen und zu sagen: "Wir wollen etwas lernen. Bringt uns etwas bei!" Das war etwas Neues, eine Oeffnung im Wissensbereich, die grosse Kraft generierte und die unsere Zeit auch heute noch massgeblich mitbestimmt. Kloester, Fuersten, Autoritaeten waren aufgebracht. Die ersten Universitaeten entstanden, ruettelten an verkrusteten Strukturen und Machtverhaeltnissen, durchbrachen Standesbarrieren, zwangen zu unangenehmen Auseinanderzetzungen, brachten neuen Wind in den zu erstarren drohenden Genius Europa.
Der Unterricht war aufgeteilt in "lectiones" (Vorlesungen) und "Disputationes" (Streitgespraeche). Viele der Lehrenden und der Lernenden sind sich heute in dem Punkt einig, das die lectiones ein Uebergewicht bekommen haben, und das die fuer einen lebendigen Prozess so wichtigen dispuationes zu kurz kommen. An die urspruengliche Bedeutung der Universitaet, der "universitas" als Modell einer neuen (freiwilligen, demokratischen, gleichberechtigten) Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, die Austausch und Kreativitaet vor dogmatische Lehren stellt, knuepft die Idee der Friedensuniversitaet an.
Das 3. Jahrtausen verlagt ein neues, umfassendes Demokratieverstaendnis, eine Dezentralisierung und Diversifizierung der Bildung. Da Frieden ueber einen rein akadenischen Rahmen weit hinaus geht, ist es wichtig, eine breite Oeffentlichkeit fuer die Moeglichkeit der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Prozesses, fuer Eigenintiative, sozilae Verantwortung und ethisches Handeln zu sensibilisieren.
Hierfuer muss ein (Friedens- und Bildungs) Dialog initiiert, zugelassen und gefoerdert werden, bei dem nicht gleich vorschnelle Antworten gesucht werden, sondern die Kunst des Fragens - unter besonderer Berucksichtigung der Motivation und Qualitaet der Fragen - wieder erlernt werden muss. Um mit Rilke zu sprechen: "Aus den Fragen in die Antworten hinein leben."
Ergaenzend zu den bestehenden Universitaeten muessen daher neue Orte des Austausches und der Fragen als VerANTWORTung entstehen: vom wandelnden Lexikon zum Wandel durch Fragen und zum Mut, in eigener Verantwortung die indiviuelle Antwort zu finden.

Frieden
Welche Worte auch gefunden werden fuer das, was nur von jedem Einzelnen immer wieder neu erfahren und deshalb letztendlich niemals definiert werden kann, so scheint fuer den Frieden auf jeden Fall eines zuzutreffen: Er ist kein passiver Zustand. Er ist ein Prozess.
"Friede ist immer ein Ziel vor uns... und der Ort, von dem aus wir anfangen", sagen die Franziskaner. Perikles spricht von einer "Seelenstaerke, die im Vertrauen aud die eigene innere Freiheit und das Furchtbare und das Angenehme am klarstenerkennen und daher keiner Gefahr ausweichen laesst". Fuer Yehudi Menuhin "erwaechst Freisen aus einer Wachsamkeit des Herzens und des Geistes".
Vieles spielt auf dem Weg zum Frieden mit wie Sehnsucht, Inspiration, Begeisterung, Freude, Mut, Vertrauen, Selbst-Bewusstsein, Intuition, Vorstellungskraft, Offenheit und Disziplin, Achtsamkeit, Geduld, Altruismus, Kommunikations- und Kooperationsfaehigkeit. Und jeder kann fuer sich noch Dinge hinzufuegen.
All das steckt in uns, und oft liegt vieles brach. Wenn jeder von dem gibt, was er am meisten hat und versucht das zu integrieren, was ihm fehlt, so kommen wir dem kollektiven Frieden ein wenig naeher, auch dem alltaeglichen Friedens- und Gluecksgefuehl, nach dem wir oftmals so vergeblich streben.
Sich fuer den Frieden zu engagieren, heisst nicht, sich in Aktionismus zu verlieren. Fuer den Frieden zu kaempfen, ist Widerspruch in sich. Frieden ist keine Eroberung, sondern eine Entdeckung, die immer wieder neu gemacht werden muss. Nur in der Suche nach Frieden finden wir Frieden, nicht in seiner Verkuendung, und all zu festen Vorstellungen von Freiden laufen Gefahr, zu Kriegen zu werden.
Frieden erfordert innere Freiheit und Unabhaengigkeit, er kann jedoch nur gelebt werden im Bewusstsein von gegeseitiger Abhaengigkeit und Verantwortung. Frieden ist kein privates Eigentum, kein behagliches Haus. Niemend kann Frieden haben, auch nicht inneren Frieden, in Isolation von der Welt. Frieden ist nur moeglich in staendiger Wechselwirkung von Innen und Aussen, von Geben und Empfangen.
Frieden ist nicht das Gegenteil von Krieg oder das Ergebnis eines dialektischen Prozesses. "Frieden ist der Fluechtling, der den Siegern im letzten Moment entwischt." (Simone Weil)
Frieden ist der Rhytmus in der Komposition von Freiheit, Gerechtigkeit und Harmonie. Gelebter Frieden ist Gewissheit und Gewissenhaftigkeit in Wuerde und Glaubwuerdigkeit: die Moeglichkeit des Werdens, die uns Einsicht in das Geheimnis des wissenden Universums gewaehrt.

Friedensuniversitaet
"Jemand weiss so viel wie er tut", sagt Franz von Assisi. Theorie ohne Praxis ist Sklaverei und jedes Wort ist Verrat, wenn nicht derjenige, der es spricht, im Einklang mit ihm handelt.
Durch einen kreativen Dialog der Widersprueche will die Friedensuniversitaet mehr und mehr in ihre Aufgabe hineinwachsen und eine Lebensschule fuer Authentizitaet und neue Formen der Zusammenarbeit werden. Sie soll fuer den Einzelnden zu einem Ort der bewussten Wandlung in einen Wachsenden (nicht Erwachsenen) werden. Wachsen heisst, sich Veraendern: Was man ist, muss man werden. Was man in sich traegt, kann und sollte man auch verwirklichen. Die Friedensuniversitaet versteht Bildung als Kunst des Wachstums und der Veraenderung gemaess dem lateinischen Sinn von "educare", das herausfuehren, hervorbringen bedeutet. Sie unterstuetzt den individuellen Willen zum Werden durch die Erkenntnis des eigenen Seins.